Frankfurt-Marathon mal ganz anders

10. November 2018

Der letzte Sonntag im Oktober. Wie immer bescherte die Umstellung auf die Winterzeit eine Stunde mehr in dieser Nacht. Wie fast immer in den vergangenen Jahren hatten wir nichts davon. Schon zum vierten Mal seit 2013 machten wir uns auf nach Frankfurt. Frankfurt-Marathon! Der Einlauf in die Messehalle ist zu schön. So schön, dass ich letztes Jahr – aufgrund der Teilnahme in Berlin setzte ich in Frankfurt aus – bereits am Lauftag von der heimischen Couch für 2018 in Frankfurt gebucht habe. So schön, dass sich Antje nach ihren ersten beiden Marathons in diesem Jahr im Sommer spontan für einen dritten in diesem Jahr – in Frankfurt – entschieden hatte.

 

Wie sonst auch ist es dunkel und kalt. Wie sonst auch liegen seit dem Vorabend alle Klamotten und Utensilien bereit. Wie immer vorm Frankfurt-Marathon wurden Kohlenhydrate gebunkert.

Seit halb sechs sind Antje und ich auf dem Weg. Zwei bis zweieinhalb Stunden später sollten wir in Frankfurt sein. Mit der Anreise zum Rebstockgelände am Tag des Laufes haben wir gut Erfahrungen gemacht – Transfer und Organisation ist 1A, sodass ich mir in Frankfurt nur die ersten beiden Male ein Hotelzimmer gegönnt habe und seitdem am Lauftag anreise.

Wie sonst auch wird es 100km vor Frankfurt langsam hell. Je näher Frankfurt kommt, umso mehr steigt die Spannung im Auto. Was erwartet uns heute? Die Wettervorhersage hat sich zum Glück ein wenig gebessert, statt Dauerregen sollte es nun nur vereinzelt regnen, dafür jedoch ordentlich Wind sein. Wie sonst auch. Wie sonst auch stellen wir das Auto im Parkhaus ab, sind dank Pendelbus zügig an der Messehalle. Wie sonst auch das übliche Marathongewusel, welches einen sofort in diese merkwürdig, angespannte, euphorische Stimmung versetzt.

Zur Startnummernausgabe, die wie sonst auch immer auf der Marathonmesse stattfindet, ist etwas neu. Die Wand, auf der alle Teilnehmer angeschrieben sind. Was habe ich hier schon meinen Namen gesucht. Einmal gefunden. Zweimal entnervt aufgegeben. Heute laufen wir zur Ausgabe der Startnummer und da prangen sie: die Namen von Antje und mir!

Ich werde jedoch heute nicht laufen. Der Arzt sagt nein. Seit fast einem Jahr habe ich Knie. Angefangen hat es vergangenen Dezember, mitten in meiner Rodgau-Vorbereitung. Und seitdem sind die Probleme im Innenmeniskus nie ganz weg gegangen. Die letzten 30er führten immer dazu, dass ich die folgenden zwei, drei Tage gar nicht mehr vernünftig laufen konnte. Sogar die letzte 10er Trainingseinheit drei Tage vor Frankfurt auf dem Laufband endete mit Schmerzen im Meniskus. Am Samstag vorher entschied ich mich, diesen Lauf nicht zu laufen.

Antje wird laufen. Hat nach ihrem „Ausversehentrainigsmarathon“ und dem Debüt am Rennsteig Blut geleckt. Hat sich von meiner Begeisterung für Frankfurt anstecken lassen. Frankfurt als Zuschauerin auch selbst erlebt. Ich werde Antje begleiten und meinen ersten Marathon vom Streckenrand erleben.

In Frankfurt alles wie sonst. Wir holen Antjes Startunterlagen und ich gehe Antje zur Hand. Wir sind beide mega aufgeregt. Das übliche Startfieber hat mich trotzdem voll erwischt. Und Antje erst! Wenn die Ehefrau einen Marathon läuft, bekommen bisher völlig ignorierte Dinge eine Bedeutung. Passen die Laufklamotten auch farbig zueinander? Haben die Haare das Potential, den Marathon und das Finish zu stören? Mit solcherlei Vorbereitungsarbeiten vergeht die Zeit bis zum Start recht schnell.

Draußen pfeift ein ungemütlicher Wind. Wir bleiben solange wie möglich in der Messehalle, tauschen Ratschläge und versuchen das Garmintracking in Gang zu bringen.

Noch 15 Minuten bis zum Start von Antjes Block. Es wird Zeit, nach draußen zu gehen. Jetzt so kurz vor dem Start bekomme ich Zweifel, ob ich vielleicht doch nicht hätte canceln sollen. Ich wäre so gerne mitgelaufen. Aber nein, mit meinen Knieproblemen würde ich Antje wohl nur im Weg rumstehen, den Rennsteig hätte sie schon wesentlich besser finishen können. Sie ist topfit, läuft immer besser und hat ihre langen Vorbereitungsläufe gut weggesteckt.

Endlich geht es los, Antjes Startblock setzt sich in Bewegung, der Moderator heizt ordentlich ein. In geplant viereinhalb Stunden wird Antje den Einlauf in die Messehalle selbst erleben können. Ich denke, so wie Antje derzeit unterwegs ist, wird sie die viereinhalb Stunden deutlich unterbieten.

Als Antje über die Startlinie ist, setze ich mich in Bewegung zum ersten Treffpunkt. Ich habe nicht vor, die nächsten Stunden im Zielbereich zu verbringen. Ich versuche, Antje an drei Punkten zu treffen und werde so einen Halbmarathon im Walken hinlegen. Km 9 ist kurz nach der alten Oper, bis Antje dort ist, habe ich etwas über 50 Minuten Zeit. Ich postiere mich so, dass ich wir uns schon von Weitem sehen können.

Hier sehen alle noch ganz locker aus. Plötzlich ist die Strecke ganz leer. Häh? Auf einmal kommt ein Pulk Läufer um die Ecke und man kommt kaum über die Straße. Klar, das war die Pause zwischen den Wellen, hier kann man das noch merken. Bald werden sich die Wellen gut gemischt haben. Die 04:00er Pacer laufen durch. Mal sehen, wann Antje kommt. Wie erwartet, taucht Antje 6 Minuten später auf. Sie läuft locker, hat ein Lächeln im Gesicht und gibt mir ihre Handschuhe. Per Whatsapp gebe ich an die Lauffreunde zuhause weiter und mache mich auf den Weg zu km 14 auf die andere Mainseite. Jetzt muss ich mich tummeln, es sind ein paar Meter und ich habe nur eine halbe Stunde Zeit.

20 Minuten später stehe ich am 14er. Bald kommen die Pacer für sub4, Ich starte die Stoppuhr, wann kommt Antje? Zu schnell unterwegs? Langsamer geworden? Bei 14 sollte eine erste vorsichtige Prognose möglich sein. Keine 5 Minuten nach den Pacern sehe ich Antje die Straße lang laufen. Sie ist gut unterwegs, die ersten 14 km sieht man ihr überhaupt nicht an. Daheim werden die ersten Tipps abgegeben, liegen zwischen 04:19 und 04:25. So wie Antje eben ausgesehen hat, vermute ich heimlich irgendwas bei 04:15 – schliesslich haben wir die letzten 10 Wochen viel zusammen trainiert.

Nächstes Treffen bei 34. Jetzt habe ich 2 Stunden Zeit. Antje wird die nächsten km bisschen Langeweile haben. Am Südufer des Mains ist immer recht wenig los. Und dann kommt auch noch die Mainzer. Ich bin natürlich viel zu zeitig am 34er. Hier endet der Lauf auf der Mainzer und schwenkt zum Europaviertel. Ach ja, das Garmintracking geht überhaupt nicht und teilt mir mit, dass mein Lauf vom 24.09.2017 beendet ist und deswegen nicht getrackt werden kann. Häh? Aus der Heimat kommt die Info, dass Antje den Halbmarathon bei 02:02 geschafft hat. Das wäre dann ja schonmal eine neue PB beim Halben. Yeah, Antje ist gut unterwegs, die 04:15 scheinen reell zu sein. Am 34er kommen die 03:45 und bald auch die 04:00er Pacer. Ich starte wieder die Stoppuhr, kommt Antje hier in den nächsten 15 Minuten vorbei, wird sie ihre Prognose von viereinhalb Stunden wohl um sage und schreibe 15 Minuten unterbieten.

Da! Gerade mal 10 Minuten nach der 4Stundengruppe taucht sie an der Biegung auf. Auf den ersten Blick ist da kein Unterschied zu vorhin festzustellen. Antje läuft locker und flüssig und mit dem Stil, um den ich sie immer mehr beneide. Antje kommt ran und ich laufe den nächsten Kilometer neben ihr her. Ja, sie merkt die Strecke in den Knochen und kann gerade ein wenig Gesellschaft und Support gebrauchen. Bei km 35 lasse ich Antje alleine ziehen. Wenn sie so weiter läuft, braucht sie keine 04:15, dann wird sie irgendwo zwischen 04:10 und 04:15 in die Festhalle einlaufen. Super.

Von km 35 bis zur Festhalle ist nur ein Katzensprung, die armen Marathonis müssen hier bei km 36 einen Steinwurf vom Ziel entfernt vorbei laufen und haben noch mehr als 6 km vor sich. Ich sichere mir einen guten Platz am Eingang zur Festhalle und warte auf Antje. 04:00, 04:05. Von zu Hause kommt die 40km-Zeit. Antje wird bei 04:12 im Ziel prognostiziert. Nach 04:10 beginnt es zu regnen. Das war knapp. Bis gestern haben die Vorhersagen ja düster ausgesehen. Dauerregen und Wind. Seit gestern nur noch Wind. Und jetzt schafft Antje den Marathon wohl noch ohne Regen. Wann kommt sie, ich recke mir den Hals wund, um sie im Gewusel der Läufer auszumachen. Plötzlich ruft Antje meinen Namen, winkt und ist schon in der Festhalle. Jetzt habe ich sie auch noch auf ihren letzten Metern verpasst…

Antjes dritter, ihr zweiter offizieller Marathon wurde, so schreibt Sven aus Suhl in 04:11:45 beendet. Klasse, ich bin sprachlos, saustolz und wäre gerne auch gelaufen. Nächstes Jahr muss ich ja wieder, dank der Frankfurter Veranstalter ist ein Verlegen aus gesundheitlichen Gründen ins nächste Jahr ja problemlos möglich.

Am Ausgang vom Zielbereich warte ich nur kurz. Es ist kalt und windig, mittlerweile regnet es. Antje hält sich nur kurz im Zielbereich auf und humpelwatschelt mir in typischer Finishermanier entgegen. Ein breites Lachen im Gesicht! Marathonfinisher!

Nächstes Jahr wieder mit mir!

Autor*in